Erst der Berliner Patient, jetzt das Baby aus Baltimore.
Ist HIV also doch heilbar?
Nein, wird man wohl fairerweise sagen müssen, aber beide Fälle werden wichtige Meilensteine auf dem Weg zu einer möglichen Heilung von HIV in der Zukunft sein.
Es war die Meldung von der Retroviruskonferenz in Atlanta. Bei einem kleinen Mädchen, das sich in der Schwangerschaft mit HIV infiziert hatte, ist das Virus auch nach Absetzen der HIV-Therapie nicht mehr nachweisbar. Nur noch Spuren der Erbsubstanz des Virus sind findbar.
Die HIV-Infektion der Mutter war erst bei der Geburt des kleinen Mädchens entdeckt worden, so dass nicht der übliche Weg der Behandlung der Mutter in dem letzten Drittel der Schwangerschaft eingeschlagen werden konnte.
Das Mädchen wurde daraufhin mit einer Dreierkombination aus AZT, Lamivudin und Nevirapin behandelt.
Der Fall unterscheidet sich daher von den üblichen Fällen der Postexpositionsprophylaxe von Babys HIV-positiver Mütter. Grundsätzlich wird bei bekannter HIV-Infektion der Mutter, diese spätestens ab der 28ten Schwangerschaftwoche antiretroviral behandelt, um die Viruslast unter die Nachweisgrenze zu senken. Damit sinkt das Risiko, das Virus zum Ende der Schwangerschaft oder unter der Geburt an das Baby weitergegeben wird, gegen Null. Die Babys werden also gar nicht erst mit HIV infiziert. Nach der Geburt werden die Babys dann lediglich prophylaktisch mit AZT als Einzelregime für die Dauer von einem Monat behandelt.
Der Fall des Babys aus Baltimore liegt indes anders. Das kleine Mädchen infizierte sich mit dem HI-Virus. Die Viruslast lag 31 Stunden nach der Geburt bei etwa 20.000 Kopien/ml. Damit war klar, das Mädchen hatte sich tatsächlich mit HIV angesteckt und eine bloße Postexpositionsprophylaxe würde nicht mehr ausreichend sein.
Die behandelnde Ärztin entschied sich daher, sofort eine Therapie des kleinen Mädchens zu starten. Das Mädchen wurde daraufhin mit ATZ, Lamivudin und Lamivudin (das später durch Kaletra ersetzt wurde) behandelt. 29 Tage nach Behandlungsbeginn war das Virus unter der Nachweisgrenze. Die Behandlung des Mädchens wurde dann weitere 17 Monate fortgesetzt, dann aber durch die Mutter des Mädchens eigenmächtig abgesetzt.
Und hier beginnt das Sensationelle. Als das Mädchen sechs Monate nach Absetzen der Therapie erneut in der Klinik vorgestellt wurde, konnte nur ein einzelnes Virus im Blutserum und 37 Viruskopien im Blutmonozyten nachgewiesen werden. Vermehrungsfähige Viren wurden nicht mehr gefunden. Weitere zwei Monate später waren nur noch vier Viruskopien pro Milliliter Blut nachweisbar. Damit liegen die Voraussetzungen einer Heilung des Mädchens vor. Denn von einer Heilung kann man dann sprechen, wenn zwar noch einzelnen Viren oder Virenbruchstücke nachweisbar sind, das Immunsystem aber in der Lage ist, die weitere Vermehrung des Virus zu verhindern.
Ist HIV damit heilbar?
Diese Frage lässt sich nicht mit einem JA oder NEIN beantworten. In dem Fall des Babys von Baltimore sieht es derzeit so aus, dass das kleine Mädchen geheilt ist. Dieses Ergebnis lässt sich aber nicht auf die gängigen HIV-Infektionen übertragen, denn es handelt sich um einen sehr speziellen Fall.
Entscheidend für den positiven Verlauf der HIV-Infektion dieses kleinen Mädchens dürfte sein, dass das Virus bekämpft wurde, bevor es in der Lage war, sich in „Reservoiren“ einzunisten. Denn ab diesem Zeitpunkt ist das HI-Virus für Medikamente nicht mehr angreifbar. Dieses Phänomen verhindert auch, dass HIV in der Regel eben nicht heilbar ist, die Viren, die sich bereits eingenistet haben, können einfach in den Zellen überleben. Wird die Therapie abgesetzt, sind unverändert diese „versteckten“ Viren vorhanden, die sich dann wieder vermehren.
Um HIV heilen zu können, müsste daher die Behandlung begonnen werden, bevor sich solche Reservoire bilden konnten. In der Praxis ist die meist nicht mehr möglich, weil sich in der Regel schon Viren eingenistet haben, bevor die HIV-Infektion bekannt wird. Stellt sich ein Patient unmittelbar nach einer möglichen Ansteckung vor, so wird durch die sogenannte Postexpositionsprophylaxe verhindert, dass es überhaupt zu einer Infektion mit HIV kommt. Hier gibt es dann keine Heilung von HIV, sondern Vermeidung einer Infektion.
HIV ist damit jedenfalls derzeit dann weiter nicht heilbar, wenn sich das Virus bereits in den Reservoiren eingenistet hat und daher durch die antiretrovirale Therapie nicht mehr angreifbar ist. Das sind aber die Fälle –wie oben bereits ausgeführt-, die in der Praxis gegeben sind.
Man wird zudem sehen müssen, wie sich der Fall des kleinen Mädchens zukünftig entwickeln wird. 6 Monate ohne Nachweis reproduktionsfähiger Viren ist zwar eine lange Zeit. Ob dies aber auch in Jahren noch der Fall sein wird, kann derzeit nur gehofft, nicht aber sicher gesagt werden.
Das Baby von Baltimore ist daher vor allem aus Sicht der Forschung interessant und hoffnunggebend. Für bereits Infizierte, bei denen sich das Virus aber bereits in den Reservoiren der Helferzellen eingenistet hat, verspricht diese Fallkonstellation indes keine Heilung. Hier wird weiter auf die Therapieansätze zu setzen sein, die das in den Reservoiren „schlafende“ Virus reaktivieren wollen, um es dann im aktiven Zustand durch die herkömmliche antiretrovirale Therapie angreifen und an der Vermehrung hindern zu können.
Daher derzeit noch keine wirkliche Heilung, aber größere und berechtigte Hoffnung, dass Heilung irgendwann einmal möglich sein kann!