Sehr geehrtes Leserbriefredaktionsteam des Generalanzeigers Bonn!
Als Mitglied der AIDS-Initiative Bonn, als HIV behandelnder Arzt und im Namen der Kolleginnen und Kollegen, die seit vielen Jahren in Bonn mit Diagnostik und Therapie dieser schweren Infektionserkrankung betraut sind, nehme ich zu den geplanten Kürzungen der städtischen Mittel für AIDS-Hilfe Bonn und AIDS-Initiative Bonn Stellung.
Der Anteil von Neuinfektionen und auch die Gesamtinfektionszahl mit dem HI-Virus ist in Deutschland deutlich niedriger als in anderen europäischen Ländern. Dies ist nicht Folge medizinischen Fortschritts, sondern eindeutig auf die von Beginn an, noch zu Zeiten von Gesundheitsministerin Rita Süssmuth auf den Weg gebrachten intensiven Präventionsleistungen. Vorsorge ist besser als Behandlung! Einrichtungen wie die AIDS-Hilfe Bonn und die AIDS-Initiative Bonn haben in unserer Stadt hieran wesentlichen Anteil. Nicht nur die Präventionsarbeit bei Männern, die Sex mit Männern haben, sondern auch die Prävention im Drogenbereich, hier insbesondere das zur Verfügung Stellen von Spritzen und sterilem Besteck, ist von elementarer Bedeutung, um auch weiterhin eine niedrige Prävalenz der Neuinfektionen mit dem HI-Virus zu erzielen. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der AIDS-Initiative Bonn liegt in der Behandlung vom Migrantinnen und Migranten mit entsprechenden Sprach-, Kommunikations- und kulturellen Problemen.
Der im Jahre 2002 gegründete Verein versorgt aktuell jährlich 246 Klientinnen und Klienten; die Hälfte des Personenkreises sind Frauen, großenteils aus Afrika. Im Laufe der letzten Jahre ist diese Zahl kontinuierlich angestiegen. 3 1/2 Stellen von SozialarbeiterInnen und 1/2- Stelle im Bereich Verwaltung führen diese Arbeit mit Unterstützung zahlreicher ehrenamtlicher MitarbeiterInnen und mehrerer geringfügig Beschäftigter durch. Schon jetzt müssen neue Anfragen immer wieder wegen Arbeitsüberlastung zurückgewiesen werden. Bei einem Gesamthaushalt der Einrichtung von 250.000 € muss bei der vorgeschlagenen Kürzung des städtischen Anteils von 163.000 € auf 143.000 € eine halbe Sozialarbeiterstelle eingespart werden; die Anzahl der Betreuten wird dann zwangsläufig auf 200 heruntergefahren werden. Neuanfragen können nicht mehr berücksichtigt werden.
Unter anderem wird von politischer Seite immer wieder die Doppelstruktur AIDS-Hilfe Bonn und AIDS-Initiative Bonn als Kostenfaktor ins Feld geführt. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Mietkosten des Vereins am Bertha-von-Suttner Platz für die zentrale Lage extrem niedrig sind und auch bleiben werden. Bereits seit dem Jahre 2006 mit freiwilligem Austritt des Vereins aus dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes ( TVÖD ) sind die Gehälter der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingefroren.
Welche Hilfsangebote des Vereins geraten bei den vorgesehenen Maßnahmen in Gefahr ? Spritzen und Kondome können nicht mehr in der erforderlichen Anzahl zur Verfügung gestellt werden. Der “ Offene Bereich “ für Menschen mit HIV/AIDS müsste geschlossen werden. Somit wären die Möglichkeiten für informelle Beratung, Krisenintervention, soziale Vernetzung und Selbsthilfe erheblich reduziert, was im betroffenen, häufig unter erheblichen sozialen und wirtschaftlichen Problemen leidenden Personenkreis weiter zu erheblicher Verunsicherung führen würde.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die ausgesprochen professionell und erfolgreich durchgeführte Begleitung und Betreuung der Patienten durch die AIDS-Initiative Bonn, die die Erkrankten häufig bei Wahrnehmung von Arztterminen und bei Antragstellungen unterstützen, eine Arbeit, die wir Ärzte in Ergänzung und Erweiterung der Medizinischen Versorgung zur Sicherung des medizinischen Behandlungserfolges unbedingt benötigen. Es ist in der Tat so, dass im Jahre 2011 weniger Menschen an AIDS, also der voll ausgebrochenen Krankheit erkranken als noch in den vergangenen Jahren; aber die Anzahl der Neu-Infektionen ist trotz im internationalen Vergleich niedrigem Niveau leider in den letzen 6 Jahren auf bundesweit fast 3000 Neuinfektionen jährlich gestiegen, was einer Erhöhung um 50% im Vergleich zu den Jahren Anfang des neuen Jahrhunderts entspricht.
Die aktuellen medizinischen Behandlungsleitlinien empfehlen eine medikamentöse Behandlung deutlich vor Beginn eines drohenden Krankheitsausbruches, so dass die Intensität auch der sozialen Begleitung heute sehr viel früher einsetzen muss als noch vor einigen Jahren. Es handelt sich bei der Behandlung der HIV-Infektion um eine in der Tat lebensverlängernde und lebensqualitätsverbessernde Therapie, die aber nicht nebenwirkungsfrei zu haben ist und trotz Vereinfachung der Tablettenanzahl immer noch von den Betroffenen eine erhebliche Behandlungsdisziplin erfordert. Gerade bei sozial, kulturell sowie sprachlich unsicheren und finanziell prekären Menschen benötigen wir Ärzte die Unterstützung eines Vereins wie der AIDS-Initiative Bonn zur Sicherung eines anhaltenden Behandlungserfolges; Ohne diese Begleitung steigt die Anzahl der Neuinfektionen noch weiter an.
Alle Beschäftigten der AIDS-Initiative Bonn stehen den infizierten Menschen unbeachtet von Herkunft und ethnischer Zugehörigkeit mit erheblichem Arbeitseinsatz und hohem Arbeitsethos bei Erfordernis auch außerhalb der regulären Arbeitszeiten an 365 Tagen im Jahr zur Verfügung. Bei unbestritten erforderlicher Behandlung mit teuren Medikamenten, einem medizinischen Standard, der zu Recht nicht hinterfragt wird, dürfen die Standards sozialer Versorgung nicht aus finanziellen Gründen abgesenkt werden. Wertschätzung dieser Arbeit kann sich nicht in schönen Worten verlieren, sondern bedarf perspektivischer Arbeitsplatzsicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vor allem psychosozialer Versorgungssicherheit der Klientinnen und Klienten.
Mit freundlichen Grüßen
Dr.med. Stephan Schölzel
Praxis :
Kölner Straße 78
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